Lisa Vogt Altermatt, Landwirtschaftliches Zentrum Liebegg, hat Mut …

Ein Gespräch über Führung, Mut und Emotionen – auch in Corona-Zeiten

«Führen mit Emotionen? Ja sicher!» Ein lebhaftes Interview mit der dynamischen Lisa Vogt Altermatt, Leiterin Bildung Bäuerin und Hauswirtschaft am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg, Gränichen.

Das Interview fand zu einem Zeitpunkt statt, als der Bundesrat weitere Lockerungen der Corona-Massnahmen auf den 8. Juni 2020 angekündigt hatte. Die Liebegg als Bildungsinstitut war und ist hoch gefordert, ein passendes Schutzkonzept zu erarbeiten und umzusetzen. Inmitten dieser bewegten Zeiten über Emotionen in der Führung zu sprechen, passt(e) gerade doppelt.

Was hat dich motiviert, in diesen «wilden» Zeiten über Führung mit Emotionen zu sprechen?
Ich finde, Führung ist höchst individuell – so wie wir Menschen – spannend und lehrreich. Mit dem Interview hoffe ich, quasi von aussen mit einem neutralen Blickwinkel meine Situation, mein Verhalten, meinen Umgang mit herausfordernden Situationen und meine Entwicklung reflektieren zu können.

Welches ist deine Funktion und wie setzt sich das Leitungsgremium zusammen?
Ich bin in der Geschäftsleitung am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg und leite den Bereich Bildung Bäuerin und Hauswirtschaft inkl. Weiterbildung Hauswirtschaft. Für diesen Bereich bin ich stellvertretende Direktorin. In der Geschäftsleitung sind wir 5 Personen, wovon ich die einzige Frau bin. Aus der Thematik Landwirtschaft heraus sind wir eine klassische Fachexperten-Organisation.
Mir direkt unterstellt sind alles Frauen, die wie ich ursprünglich aus der Bildung kommen, d.h. ich bin Hauswirtschaftslehrerin mit diversen Weiterbildungen im Management.

Wie ist die Liebegg in der Bildungslandschaft Aargau aufgestellt?
Wir sind eine „kantonalisierte“ Berufsschule. D.h. die Zugehörigkeit der Liebegg zum Departement Finanzen und Ressourcen des Kantons Aargau bedeutet einen gewissen Koordinationsaufwand mit der kantonalen Verwaltung und somit eine finanzielle Abhängigkeit von politischen Entscheiden. Das erlebe ich zugleich als Sicherheit und als Herausforderung.

Wie war dein Einstieg in die Führung?
Das war 2008, als es grossen organisatorischen Wechsel in der Liebegg gab, als ich die Führung des Tagungszentrums der Liebegg – vielleicht etwas blauäugig – übernahm. Ich wurde von meinem damaligen Vorgesetzten stark unterstützt, gefordert und gefördert. Er hat mich damals zu einem Führungslehrgang motiviert, damit ich noch mehr Werkzeug erhalten würde. Bei der Auswahl dieser Weiterbildung war mir wichtig, praxisnahe Führungsweiterbildung zu erhalten für den Umgang mit geerdeten Menschen, die mehrheitlich quasi «auf der Baustelle» arbeiten. Ich habe viel gelernt seither, sei es aus Erfahrungen – inkl. Fehlern – oder eben durch gezielte Weiterbildungen.

Wie gehst du mit schwierigen Situationen um?
Die Herausforderung ist: Emotionen zulassen, sowohl meine eigenen als auch die meines Gegenübers, dies aushalten und sich dabei gleichzeitig nicht ausliefern. Dazu braucht es Mut und Klarheit in Haltung und Kommunikation.
Im Grundsatz glaube ich daran, dass die meisten Menschen nicht verletzen wollen und nicht verletzt werden wollen. Das kann ein Hindernis in der Führung sein. Missverständnisse entstehen auch dadurch, dass die Führungsperson von ihren Mitarbeitenden gemocht werden möchte. Dies ist mir als junge, unerfahrene Lehrperson passiert.
Ich bin überzeugt, dass mich eine klare Haltung weiterbringt: das Bedürfnis des Gegenübers verstehen können und gleichzeitig im Sinne des Betriebs handeln. Das heisst, ich kann nicht immer lieb und nett sein.

Wie schaffst du es, Klarheit zu vermitteln resp. zu erreichen?
Im Bereich, den ich direkt führe, fällt mir dies einfacher. Ich führe individuell und situativ, indem ich auf die Mitarbeitenden eingehe. Auch innerhalb der Geschäftsleitung habe ich in der Regel einen klaren Blick. Wenn mein Vorgesetzter und ich in einem Diskurs sind, ist es anspruchsvoller, weil ich da als Mensch mit meinem Empfinden persönlich beteiligt bin. Durch dieses Bewusstsein kann ich Sach- und Emotionsebene immer besser auseinanderhalten.

Was machst du nach einem emotionsgeladenen Gespräch, d.h. «wenn’s mol chlöpft» und es dich weiter beschäftigt?
Am Anfang meiner Führungsarbeit empfand ich den Umgang damit schwierig, v.a. wenn ich den Eindruck hatte, jetzt habe ich den passenden Moment verpasst, das Thema nochmals anzusprechen. Heute gehe ich nochmals auf den Gesprächspartner zu.

Wie reagieren diese Kolleginnen/Kollegen auf dieses «Zurückkommen»?
Grundsätzlich sind die Reaktionen gut, manchmal auch erstaunt. Für mich ist es wichtig, meinen Standpunkt auch mit etwas zeitlichem Abstand zu reflektieren und natürlich ebenso, das Empfinden des Vis-à-vis abzuholen. Das braucht Mut – und bedeutet Aufwand! Sich diese Zeit zu nehmen, lohnt sich für alle! Das ist betriebsintern nur dann möglich, wenn ich als Führungskraft nicht ständig «nur am Feuer löschen» bin.

Deine Grundwerte in der Führung?
Mich interessieren die Menschen – einerseits als Mitarbeitende, aber auch als Menschen neben dem Job. Wahrnehmung, Hinschauen, Wertschätzung, Respekt, Sicherheit schenken, Emotionen zulassen und Humor sind mir wichtig. Das schafft Verbindlichkeiten und Vertrauen.
In der Bildung speziell ist der Spagat, den Lehrpersonen einerseits Freiheit und Verantwortung für ihren Unterricht zu geben, sie andererseits dennoch zu führen im Sinne des Ganzen. Eine Grundhaltung von mir ist: Fragen und Zuhören – möglichst wenig interpretieren.

Spezielle Erfahrungen durch die Corona-Zeit?
Homeoffice zeigte auf, dass es eine Herausforderung ist, die Fäden zusammenzuhalten, wenn die Mitarbeitenden zu ganz unterschiedlichen Zeiten – und auch noch extern – am Arbeiten sind.

Siehst du einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften?
Aus meiner Sicht ergibt sich ein Unterschied eher aus der Kumulierung von technischen Fachthemen in einer Expertenorganisation, wo sogenannt weiche Faktoren etwas weniger wichtig sind. Es gibt sehr wohl Männer, die auch mit Emotionen führen. Die Frage ist immer wieder, wieviel Zeit habe ich oder nehme ich mir neben meinen Fachaufgaben für Führung?

Wie würdest du die Kultur der Liebegg beschreiben?
Die altersmässige Durchmischung von Mitarbeitenden bringt eine Kulturerweiterung. Das Umfeld der Landwirtschaft und der Mitarbeitenden nehme ich als bodenständig und geerdet wahr, was mir gefällt. Humor ist im ganzen Haus wichtig. Ich meine, dass wir im Grundsatz an der Liebegg einen «freien Geist» haben.

Wie schaffst du es, schwierige Situationen auszuhalten?
Es hilft und ist wichtig, Sach- und Beziehungsebene auseinanderzuhalten. Nach dem Aushalten zurückblicken und wahrnehmen, dass es immer einen Weg gibt.

Was macht dir Freude in der Führung?
Wenn etwas gelingt: tue mehr davon! Die Menschen! Freude macht mir, etwas prägen, steuern und weiterentwickeln zu können, gemeinsam weiterzukommen, als Team und in der Sache. Verantwortung zu haben für ein Ganzes, so positiv wie möglich.

Was sind deine persönlichen Herausforderungen?
Ich möchte daran arbeiten, Geduld mit anderen zu haben, wenn sie den nächsten Schritt/ Zusammenhang noch nicht oder anders sehen als ich. Da stehen mir meine Spontaneität und Emotionalität manchmal im Weg. Ich diskutiere gerne und lebhaft, da hat mich meine Familie sehr geprägt. Das passt für andere nicht immer.

Wie beschreibst du deinen Führungsstil?
Grundsätzlich führe ich stark partizipativ-emotional, immer sachorientiert. Basis ist auch die Förderung der Mitarbeitenden und gleichzeitig braucht es die Vorgaben-, Aufgaben- und Resultatorientierung. Deshalb fordere ich auch ein. Das ist für mich Führung.
Ab und zu erlebe ich, dass Frauen von aussen vorurteilsvoll zugeordnet wird, sie würden rein aus der emotionalen Ecke führen, was ich nicht so sehe.
Ich führe bewusst, denn Führung findet auch statt, wenn ich einen hohen Workflow an Fachaufgaben zu erfüllen habe. Dann braucht es eine Priorisierung; das ist mein Ansatz.

Was würdest du betriebsintern per sofort ändern, wenn du könntest? Wahrnehmung im Führungsgremium für den Führungsauftrag schärfen und die Führungspersonen darin stärken, dass Facharbeit durch bewusste Führungsarbeit nicht leidet, im Gegenteil!

Wie ist dein Erleben als einzige Frau in der GL?
Es fühlt sich für mich normal an, ab und zu den «weiblichen Blick» oder halt sprachliche Anmerkungen anzubringen. Bei Anstellungsthemen bin ich sehr klar für Gleichberechtigung. Führung ist für mich nicht primär männlich oder weiblich. Vielleicht passt es in keine der Vorurteils-Schubladen, dass ich als Frau, die führt, sowohl weiblich/weich und modern als auch emanzipiert/sachlich sein kann.

Was möchtest du noch sagen?
Der Selbstentwicklungsprozess ist mindestens gleich anstrengend wie Führungsarbeit. Da darf ich noch etwas mehr Geduld mit mir haben und mit meiner Lebenserfahrung an meinen Verhaltensmustern arbeiten. Den Austausch mit anderen Führungspersonen – aus unterschiedlichen Branchen – schätze ich sehr und bringt mich stets weiter.
Auch kann ein Coaching mit dem Blick von aussen viel bringen, um Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Was ziehst du für einen persönlichen Nutzen aus diesem Interview?
Ich fand die Gelegenheit toll, spezielle Führungsthemen anzusprechen, mich auszutauschen und meinen Blickwinkel zu erweitern. Vielen Dank dafür!

Im Namen von ottpunkt AG danken wir für deine Offenheit und deine Zeit!

Interview: Erika Rihner