«Heinz Hirt, Lagerhäuser AG, haben Sie Mut …?»

Ein Gespräch über Führung und Emotionen

Heinz Hirt hat Mut über Führung zu reden. Er ist es sich gewohnt zu führen. Für seine Mitarbeitenden legt er sich ins Zeug.
Aufgewachsen ist Heinz Hirt in Suhr zusammen mit seiner Schwester. Der Vater war Verwaltungsbeamter, die Mutter Hausfrau. Der Chef für Zoll und internationale Spedition bei Lagerhäuser AG, Schafisheim, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Beim heutigen Arbeitgeber machte er bereits die Lehre. Das war vor 35 Jahren. Karrierevorstellungen hatte er keine. «Ich übernahm jeweils die Jobs, die Ältere nicht wollten», sagt er. «So überwand ich Hierarchiestufe um Hierarchiestufe.»
In seinen beiden Abteilungen arbeiten zwölf Leute. Sie kümmern sich um Zollabfertigungen und internationale Spedition. Eine grosse Belastung für alle sind die so genannten hohen Peaks am Morgen und am späteren Nachmittag. Dann gilt es alle Ressourcen zusammenzuführen. Die Mitarbeitenden müssen in «no Time» Transporte abklären, Platzbedarf eruieren, Waren verzollen. «Es darf kein Fehler passieren. Und wenn einer passiert, muss der Verursacher dazustehen, auch wenns ein kurzfristiges Donnerwetter absetzt», sagt Heinz Hirt. «Ja. Ich erwarte viel von meinen Leuten.»

Herr Hirt, wie erlebten Sie die «Führung» als Kind, als Jugendlicher? Im Elternhaus? In der Schule? Im Kollegenkreis?
Zuhause spielten die Eltern eine Art Rollenspiel. Mutter war die liebende Person. Sie liess uns Freiheiten. Die strafende Hand delegierte sie an den Vater. Wenn er heimkam, hiess es aufzupassen.

Wie war es in der Schule?
Ich hielt mich zurück, erst in der Pubertät drehte ich auf. Spielten wir jemandem einen Streich, war ich eher der Anführer.

Das ging so weiter. Auch in der Bez?
Ja. Dort lernte ich vor allem vom Zeichnungslehrer, dass ich geradestehen musste, wenn ich der Anführer eines Streiches war.

Dann mussten Sie Strafen hinnehmen?
Selten. Wie gesagt, ich musste geradestehen für eine «Tat». Das war Strafe genug. Und es war für mich sehr lehrreich. Ich lernte Verantwortung übernehmen, lernte hinzustehen.

Sie respektierten diesen Lehrer?
Unbedingt. Er war es, der mich prägte. Ich lernte Diskutieren, lernte Verantwortung zu übernehmen und Verbindlichkeit einzuhalten.

Sie sagten, Musikmachen sei ebenfalls sehr wichtig gewesen.
Genau. Ich spielte Schwyzerörgeli. Das prägte mich. Ich war der Jüngste, war immer die Nummer zwei, spielte die zweite Stimme und durfte improvisieren. Das ist heute noch so und es entspricht mir sehr.

Sie waren ein guter Schüler?
Ich war meist Klassenbester. Darum machte ich ‹Seich›. Heute weiss ich: Ich war unterfordert, war in allen Fächern gut. Ausser in Geschichte.

Merkten Sie, dass da was aus dem Ruder lief?
Natürlich. Das Zwischenmenschliche war wichtig. Ich war ein Saucheib, war mir immer bewusst, dass da was schlecht lief. Ich lernte führen, übernahm Verantwortung.

Ein Beispiel?
Wir waren im Konflager mit Pfarrer Otto. Fuhren mit dem Car ins Tessin. Der Chauffeur liess Otto Walkes laufen. Der Komiker redete von sich selbst als ‹Ottili›. So nannte ich dann den Pfarrer. Das war nicht klug.

Wurde er sauer?
Und wie. Er kam zu uns nach Hause, drohte mich nicht zu konfirmieren. Ich entschuldigte mich schriftlich. Daraufhin lenkte er ein. Konfirmierte mich dann doch. Aber meinen Kollegen, der auch dabei war, den verriet ich nicht.

Was lernten Sie daraus?
Mir wurde bewusst, was ein Fehlverhalten alles auslösen kann. Und ich merkte, weil ich Verantwortung übernahm, konnte ich die Sache ausbaden, sie zum Guten wenden.

War das alles?
Nein, ich lernte, die feinen Antennen auszufahren. Ich führte unbewusst, obwohl ich das gar nicht wollte, meine Prägung machte das einfach.

Dann war die Militärzeit für Sie schwierig.
Es war ein Horror. Abnicken, war gefragt. Gehorsam sein. Mich demotivierte diese Art von «geführt werden».

Sie ertrugen die Zeit klaglos?
Nein, wer sich als Fötzelsiech entpuppt, wer die Leute plagt, muss sich nicht wundern, wenn sie zurückschlagen. Meine Rache war süss. Und mir war klar, so werde ich niemals ein Team führen.

Können Sie mit dem Begriff «emotionale Führung» etwas anfangen?
Natürlich. Ich führe hochemotional. Nur emotional. Allerdings musste ich lernen, damit umzugehen.

Was heisst das?
Gibt’s eine schwere Reklamation wegen eines Fehlers meiner Leute, bin auf 180.

Was machen Sie dann?
Ich schliesse meine Bürotür und warte, bis sich alles abkühlt.

Lernten Sie das an Schulungen?
Nein. (lacht). Führungsschulungen machte ich erst mit, als ich schon alles wusste. Ich führte aus dem Gefühl heraus, intuitiv.

Und das funktionierte von Anfang an?
Nein. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Mitarbeiter vor vielen Jahren. Ich war 30, er 55 Jahre alt. Er sagte: ‹Du hörst mir nicht zu›. Ich sagte: ‹Ja. Weil du irgendwas schwafelst›. Das war falsch. Ich verletzte ihn.

Sie lernten also bei Ihrem Tun?
Genau. Learning by doing. Zurückblickend finde ich es schade, hatte ich nie eine Grundschulung in Sachen Personalführung. Heute lassen wir unsere Leute so ausbilden.

Und das bringt etwas?
Das wissen wir vorher nicht. In der Regel schon.

Wer stellt Ihnen Ihre Leute ein?
Das mache ich – in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung. So schaffe ich mir eine Art ‹Familie›. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind loyal. Ich schütze sie, sie stehen mir nahe.

Die Leute vertrauen Ihnen?
Sicher. Oft mache ich Vier-Augen-Gespräche. Was ich da erfahre, bleibt bei mir, bleibt beim Mitarbeitenden. In so einem Gespräch erfahre ich alles. Meine Leute trauen sich, zu sagen, wenn es ihnen nicht gut geht. Ich fördere das. Schliesslich kann ich nur beurteilen, was ich weiss. Nur wenn ich das Problem kenne, kann ich Verständnis aufbringen.

Sind Sie eine Vaterfigur?
Für die Jungen vielleicht schon. Ich gebe Ihnen Lebenstipps.

Beispiel?
Da will einer einen Lohnvorschuss. Das ist rechtlich möglich, aber ich rede mit ihm, bringe ihn davon ab. Denn er manövriert sich in eine Abwärtsspirale, das merke ich mit meinem Feingefühl.

Wie führen Sie?
Mit Respekt und Vertrauen. Ich verlasse mich auf meine Intuition. Frage einen Mitarbeitenden, wie es ihm geht. Erwarte eine authentische Antwort, nehme mir Zeit, dann erfahre ich alles.

Führung ist Ihre Hauptaufgabe.
Ja, natürlich. Ich führe rund ein Dutzend Leute. Morgen in der Früh, um sechs Uhr, helfe ich beim Tagesgeschäft. Nach einer Stunde, nach 90 Minuten ist der Rush vorbei. Dann kümmere ich mich um meine Leute. Ich schaue wer fehlt, was steht an. Ich bereite Sitzungen vor.

Sie führen ganzheitlich?
Ja klar. Andere Dinge erledige ich nur, wenn ich Zeit habe. Früher war das anders, dann litt ich unter Herzrhythmusstörungen. Das ging nicht.

Was unternahmen Sie?
Ich musste lernen, weniger zu arbeiten. Meine Leute sind im Stress, ich muss sie schützen. Das ist meine Hauptaufgabe.

Was fasziniert Sie daran, jemanden zu führen?
Es ist oft erstaunlich, welche Möglichkeiten in einem Mitarbeiter schlummern – wenn man seine Stärken fördert und fair und offen mit ihm umgeht.

Was ist belastend an einer Führungsaufgabe?
Es ist eine Gratwanderung mit zahlreichen Gefahren wie z.B. den Mitarbeiter zu überfordern.

Wie empfinden Sie das Führen:
1. gegenüber Mitarbeitenden
Unterstützung und Förderung um das bestmögliche zu erreichen. Das ist sehr spannend und meist auch sehr befriedigend.

2. gegenüber hierarchisch Gleichgestellten
Da sehe ich das grösste Konfliktpotential, da unterschiedlichste Interessenkonflikte aufeinanderprallen.

3. gegenüber Vorgesetzten
Ich benötige viel Freiraum und lasse mich nicht gerne einengen. Was ich mache kommuniziere ich meinem Chef regelmässig und wir diskutieren unterschiedliche Ansichten sehr offen.

4. gegenüber Kunden
Ein zufriedener Kunde entsteht durch das Gesamtergebnis unserer Leistung. Einen wichtigen Bestandteil steuert die Führungsarbeit bei.

Was empfinden Sie beim Führen? Was gibt es Ihnen? Was nimmt es Ihnen?
Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Meistens eine tiefe Befriedigung, wenn sich ein MA positiv weiterentwickelt. Manchmal kostet es viel Substanz – was sich auch auf das Privatleben auswirken kann.

Passen Sie Ihren Führungsstil dem intellektuellen Background des Mitarbeitenden an?
Ich versuche automatisch, mich in mein Gegenüber zu versetzen. Deshalb geschieht dies ganz unbewusst. Ich hatte lange das Gefühl, ich könne niemanden schicken. Ich kann/will nicht der «Bösewicht» sein. Anfänglich war dies tatsächlich eine grosse Belastung. Heute sehe ich dies anders. Alle MA, von denen ich mich trennen musste, waren dafür letztlich selbst verantwortlich und hatten vorgängig mehrere Chancen. Ich brauche aber weiterhin eine gewisse Vorlaufzeit, um mich mental darauf vorzubereiten. Heute fühle ich mich nicht mehr als Bösewicht.

Was faszinierte sie am Mut Projekt von ottpunkt AG?
Ich war erstaunt, dass sich überhaupt jemand für meine Führungsarbeit interessiert. Denn ich verhalte mich sicherlich nicht sehr oft «lehrbuchmässig», da ich das meiste intuitiv tue. Bei der Reflexion fand ich vor allem spannend, wie prägend Kindheitserfahrungen sein können. Jetzt freue ich mich auf andere Geschichten, die dann publiziert werden!

Was ziehen sie für einen persönlichen Nutzen aus diesem Interview?
Früher habe ich jede Entscheidung mit Fakten/Zahlen gerechtfertigt. Heute verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl. Der Kontakt mit Claudia Ott hat mir bestätigt, dass auch dieser Weg funktionieren kann und ich rechtfertige Entscheide in der Regel nicht mehr.

Claudia Ott dankt Heinz Hirt für seine Offenheit, seine Zeit und vor allem für seinen Mut bei diesem Projekt mitzuwirken!

Interview: Claudia Ott,  Foto: Daniela Friedli