Dr. Norbert Kräuchi, Abteilung Landschaft und Gewässer (ALG), Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau

Ein Gespräch über Kreativität und Mut als Führungsperson in der kantonalen Verwaltung.

Von Serendipität: nur ein offener Geist kann einen glücklichen Zufall erkennen.

Dr. Norbert Kräuchi
Dr. Norbert Kräuchi

Was hat dich bewogen, spontan für dieses Interview zuzusagen?
Spontaneität ist mir von innen gegeben, was Chancen und Herausforderungen anbelangt. Wenn ich Möglichkeiten sehe, neue Erfahrungen zu sammeln, sehe ich grundsätzlich Chancen darin. Das Neue reizt mich und ich bin gespannt, welche Ausschnitte du als Interviewerin von mir herausschälen wirst. So wie ich denke, dass ich ein gutes «Gspüri» für andere Menschen habe, kann ich selbst auch «gelesen» werden.

Welches ist deine Funktion und wie viele Mitarbeitende sind dir direkt unterstellt?
Ich bin seit 2009 – aus der angewandten Forschung kommend – Leiter der Abteilung Landschaft und Gewässer (ALG) beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau. Dieser Wechsel in die Verwaltung bedeutete für mich einen grossen Kulturwandel bezüglich Denkhaltung und Führung. In dieser Funktion sind mir 8 Mitarbeitende direkt unterstellt und in der Abteilung arbeiten rund 60 Mitarbeitende in einem breiten Spektrum an Themen.

Anm. von Erika Rihner:
Die ALG kümmert sich um eine „….verantwortungsvolle Entwicklung der Landschaft, eine ökologische Aufwertung und nachhaltige Nutzung der Fliessgewässer sowie um einen umfassenden Hochwasserschutz.“ Mit der kantonalen Fachstelle Nachhaltigkeit und dem Entwicklungsschwerpunkt Klima ist sie zudem für überdepartementale Aufgaben verantwortlich. Siehe www.ag.ch/alg

Wie hast du die (Führungs-)Kultur erlebt beim Einstieg und wie ist es heute?
In der Verwaltung hat alles seine Ordnung, wohingegen die Forschung von Kreativität lebt. Gleich nach meinem Stellenantritt habe ich mit allen Mitarbeitenden Einzelgespräche geführt, weil der Mensch für mich im Zentrum der Führung steht. Für die Mitarbeitenden war das ungewohnt und wohl der Beginn von Kulturwandel innerhalb der Abteilung. Ich lebe die Kultur der offenen Tür. Den Mitarbeitenden schenke ich Vertrauen, sodass ich Verantwortung und Kompetenzen delegieren kann. Dadurch werden die Menschen befähigt zu entscheiden, wann der Schritt zum Gespräch mit mir angezeigt respektive notwendig ist.

Aus meiner Sicht hat sich ein Boden gegenseitiger Wertschätzung entwickelt, was ich als äusserst wichtig erachte für ein Unternehmen respektive eine Abteilung.

Was ist dir wichtig bei deinen Mitarbeitenden?
Der erste Eindruck, den ich von einem Menschen habe, bestätigt sich sehr häufig in der späteren Zusammenarbeit, was seine Haltung und seine Werte betrifft. Ich will keine «Mainstream-Mitarbeitenden». Diversität, die sich in unterschiedlichen Grundhaltungen zeigt, finde ich sehr wertvoll. Ich wünsche mir geerdete Mitarbeitende, die offen sind für Neues, und die mit Selbstvertrauen ihren Beitrag zu einem grösseren Ganzen zur Zielerreichung für die Abteilung leisten. Dabei sind alle wichtig in ihrer jeweiligen Rolle.

Was sagst du zum Vorurteil, Mitarbeitende in der Verwaltung würden eine ruhige Kugel schieben?
Wir haben klare Aufgaben und zeitliche Vorgaben, nach denen wir arbeiten. Es ist nicht möglich, eine ruhige Kugel zu schieben. Die ALG ist u.a. eine Bauabteilung, die Projekte mit den knappen Ressourcen Boden/Wasser und oftmals im Eigentum Dritter realisiert. Das ergibt ein enormes Konfliktpotenzial, dem wir ständig ausgesetzt sind. Jeder Akteur – seien es Gemeinden oder Private – hat eine andere Erwartungshaltung und möchte sein Anliegen umgesetzt haben. Dabei widersprechen sich die gegenseitigen Erwartungen häufig oder sie sind mit den rechtlichen Rahmenbedingungen nicht konform. Hier gilt es Lösungen zu finden und umzusetzen. Sie sind der Leistungsausweis der Abteilung.

Die ALG hat schweizweit einen guten Ruf von fachlicher Breite und inhaltlicher Tiefe, was ich u.a. in Vorstellungsgesprächen hören darf. Auf Stellenausschreibungen haben wir erfreulicherweise zahlreiche und sehr gute Bewerbungen. Darauf bin ich auch etwas stolz.

Was bedeutet für dich Konfliktmanagement in der Personalführung?
Je nach Situation gehe ich auf die vorgesetzte Person oder den Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin direkt zu und spreche Missstimmungen an. Wichtig ist, das Gespräch zu suchen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Manchmal geht es zuerst um Deeskalation. Wenn ich es für notwendig erachte, ziehe ich eine externe Coachingperson bei. Für die Zielerreichung des Teams und der Abteilung sind Reibungsverluste normal, dürfen aber keine Oberhand haben. Ich bin überzeugt, dass damit auch Persönlichkeitsentwicklungen angeregt werden. Der Wirkungsgrad als Vorgesetzter in einem Konflikt bleibt eine Herausforderung, die ich als Chance sehe. Deshalb interessiert mich, wie ich die Stärken der Mitarbeitenden fördern kann. Ein Team ist ein Ökosystem, in dem alle ihre eigene Rolle haben, damit das Ganze funktioniert.

Wie gehst du mit starken Emotionen um?
Ich lasse den Menschen Zeit für ihre Emotionen und begegne ihnen mit Empathie. Zuhören und nachfragen, ob ich die Situation richtig verstanden habe, ist wesentlich. Weiter versuche ich, Druck wegzunehmen und positiv zu bleiben. Die Mitarbeitenden sind die wichtigste Ressource, das ist mein Credo. Meine Türe ist immer offen und ich habe stets ein offenes Ohr für die Anliegen der Mitarbeitenden. Die Kunst ist, zwischenmenschliche Schwingungen und Emotionen nicht sofort zu werten, sondern sie wahrzunehmen.

Was hat Corona mit dem Teamgeist gemacht?
Dem Teamgeist der Abteilung hat Corona aus meiner Sicht keinen Abbruch getan, aber die neuen Mitarbeitenden können die Abteilungskultur erst jetzt kennenlernen. Während dieser Zeit eine neue Stelle anzutreten, war sicher schwierig. Ich wollte trotz der Corona-Situation ein Weihnachtsessen durchführen. Der von mir für die Mitarbeitenden angeordnete und auch bezahlte Antigen-Test ermöglichte einen wunderbaren Anlass, bei dem alle dabei waren. Teamanlässe finde ich elementar für den Teamgeist, weil sie Kitt geben.

Wie bezeichnest du deinen Führungsstil?
Dynamisch-kreativ! Von meiner Art her bin ich nicht der typische Verwaltungsabteilungsleiter.

Wie kreierst du deine Ideen?
Das passiert einfach. Ich lebe Serendipität, d.h. das Glück des Zufalls. Nur ein dafür offener Geist und Blick kann einen glücklichen Zufall erkennen. Ich gehe so durch die Welt. Dazu gehört auch, vorausdenken, antizipieren und mit Rückschlägen umgehen zu können.

Was ist für dich schwierig in der Führung?
Die politischen Einflüsse in unsere Arbeit nehme ich als herausfordernd wahr. Wenn wir als Abteilung von einer Sache fachlich überzeugt sind, die dann im politischen Prozess scheitert, ist das Projekt bzw. Unterfangen deswegen nicht falsch. Vielfach ist die Zeit nicht reif. Vor bereits über 10 Jahren habe ich das Thema «Klimawandel» aufs Tapet gebracht und gegen damaligen Zeitgeist daran festgehalten, mich dafür eingesetzt und Projekte lanciert und unterstützt. Heute ist das Thema vollständig angekommen.

Wir müssen damit klarkommen, dass in unseren langfristigen, die Natur betreffenden Prozessen der Return on Investment zeitlich entkoppelt stattfindet. Das braucht Beharrlichkeit. Es hilft, über Projekte und Resultate in attraktiver Form zu berichten, also quasi wie «verkaufe» ich ein Produkt des Kantons? Das heisst, nach aussen mit Freude und Begeisterung über die Tätigkeiten und Projekte der Abteilung zu schreiben und zu informieren, und zwar von möglichst verschiedenen Mitarbeitenden. Dabei möchte ich meine Mitarbeitenden befähigen, in einem nicht einfachen Umfeld zu bestehen. Ich plädiere daher auch stark dafür, LinkedIn zu nutzen.

Dein LinkedIn Konto gibt es seit mehr als 10 Jahren. Wie kam es dazu?
Ich hatte immer eine Affinität zu digitalen Medien. Ich habe gespürt, dass diese internationale Plattform – mit Fokus auf die Berufswelt – Zukunft haben wird.

Die Social Media-Präsenz der Abteilung ist für die Platzierung von Abteilungsthemen heute essenziell – sei es über LinkedIn, Facebook oder Instagram.

Gewisse Entscheidungen brauchen Mut. Was sagst du zu dieser Aussage?
Was mit Mut lanciert wird, kann keimen, braucht also Zeit. Mit meinem Pflichtenheft sind mir Verantwortung und Kompetenzen übertragen, gewisse Aufgaben für den Kanton und die Gesellschaft zu erfüllen. Es liegt an mir, Mittel zu finden, wie ich meine Aufgaben umsetze. Die Herausforderungen des Klimawandels und der damit verbundenen Zunahme von Extremereignissen oder des Biodiversitätsverlustes – um nur zwei zu nennen – sind immens. Zusammen mit meinen Mitarbeitenden trage ich eine grosse, generationenübergreifende Verantwortung. Wenn ich da keinen Mut hätte, wäre ich am falschen Ort.

Wie siehst du die Digitalisierung für ältere Menschen, die mit der schnellen Entwicklung nicht klarkommen?
Ich bezeichne mich als «digital native», auch wenn mein Jahrgang etwas anderes sagt. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass nicht alles digital funktionieren kann und muss. Für ältere Menschen fehlt sicher zunehmend der persönliche Dialog, beispielsweise am Bankschalter.
Ich rege an, durch Diskussionen im stetigen Austausch mit anderen Menschen zu bleiben.

Welche Tipps gibst du einer jungen Führungskraft?
Akzeptiere, dass die Mitarbeitenden in ihren Kernbereichen mehr wissen als du selbst. Erachte das als Chance. Pflege den Austausch, d.h. lerne die Menschen kennen, gib Ziele vor (nicht die Methode oder Instrumente), nimm Kritik ernst, befähige die Mitarbeitenden und lasse sie sich entwickeln.

Welchen Nutzen ziehst du aus dem heutigen Gespräch?
Das ganzheitliche Nachdenken über Führung fand ich sehr spannend. Vielen Dank für diese Möglichkeit.

Im Namen von ottpunkt AG danken wir herzlich für deine Offenheit in diesem Gespräch!

Interview: Erika Rihner, Visual & Outdoor-Coach, Teamentwicklerin