Das Interview mit Urs Häusermann in der Reihe Führungskräfte: «Haben Sie Mut…»

Die Führungsarbeit eines NonProfit-Unternehmens im Kontext der «Menschenorientierten Führung» leitete das Gespräch.

Deine Führungsgrundsätze?
Wann «Partizipativ» wann «Autoritär»?

Das hängt von mir selbst, vom Gegenüber, der Situation, dem Umfeld, den Absichten und Möglichkeiten und, und, und … ab. Wer effektiv führen will, der Bedarf ein riesiges Repertoire an Fähigkeiten, denn wirkungsvoll Führen ohne Macht ist die Königsdisziplin in einem Unternehmen.

Ich als Führungskraft, erwarte von mir, eine sehr vielseitige und ausgereifte Führungskompetenz (Vorbild sein und Vertrauen aufbauen, Ziele festlegen und Perspektiven bieten, Lernfähigkeit fördern, Fairness bewirken, Unternehmerisch handeln usw.) und dass ich verschiedene Führungsstile (autoritär, patriarchisch, beratend, kooperativ, partizipativ, demokratisch usw.) beherrsche, sowie ein sehr sensitives Gespür für Menschen/Teams, sowie Situationen habe (Empathie, Emotion, Interkultur usw.), damit ich ereignisspezifisch aufgrund der Situation, des/der involvierten Menschen sowie in gewissen Fällen auch aufgrund der Sinnfrage (von Mensch, Situation und der daraus zu erwartenden Reaktion/Wirkung) effektiv, wirkungsvoll und motivierend coachen, beraten, wirken kann.

Führen ohne Macht ist für mich eigentlich mehr ein «ver-führen» oder agiles lenken, d.h. ich interagiere und versuche mehr mit Anreizen anstatt mit Druck «gluschtig» zu machen, empfehle Gewohntes «zu parkieren» und sich auf Neues einzulassen. Beim Führen oder «ver-führen» geht es ja oft darum, unterschiedliche Ansichten und Überzeugungen auszutauschen und die gegenseitige Bereitschaft zu erhalten, ein bestimmtes Vorgehen, ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Haltung auszuhandeln.

Wer wirkungsvoll führen will, braucht zudem eine gute Resilienz oder psychische Widerstandsfähigkeit, d.h. (gemäss Wikipedia) die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen, als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.
Nur wer Bereiche wie Emotionssteuerung, Impulskontrolle, Kausalanalyse, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Zielorientierung und Empathie in seinem persönlichen Werkzeugkasten hat und damit umzugehen weiss, ist bereit mit Erfolg und ohne Angst, die Führung mit Freude und Wirkung zu erleben.

Eine weitere Behauptung von mir ist: «Wer seine Work-life-Balance und sein Privatleben nicht im Griff hat, der wird nicht nur seinen privaten Auftritt vermasseln, sondern auch als Führungskraft versagen.»

Deine Aussage: Die Führungsarbeit beginnt bei der Rekrutierung…
Wie ist das zu verstehen?

Neben dem «WAS wir wollen» wird schon bei der Rekrutierung und damit beim Bewerbungsgespräch ausführlich auch auf das «WIE wir es machen» und «WAS UNS AUSMACHT» eingegangen und geklärt, welche klaren Erwartungen damit verbunden sind. Nicht das ICH steht bei uns im Mittelpunkt, sondern das WIR. Nicht die Einzelleistung steht im Vordergrund, sondern das Kollektiv. Nicht die persönliche Karriere ist das Ziel, sondern als Kollektiv wollen wir unseren Leistungsauftrag besser erfüllen, als dies von unserem Auftraggeber erwartet wird. Was das für jede einzelne Person im Team bedeutet, diskutieren und finden wir zusammen heraus und setzen das vereinbarte Vorgehen gemeinsam um. Mindestens so wichtig, wie die fachliche Qualifikation, ist für uns deshalb die «menschliche Qualifikation» und die Begeisterung für diesen anspruchsvollen und uneigennützigen Umgang miteinander, wenn ich versuche neue Mitarbeiter/innen für unser Team zu finden.

Kommunikation und Sitzungen
Was hat das für einen Stellenwert?

Wir haben relativ wenige formelle und fix organisierte Sitzungen und trotzdem ist Kommunikation das wohl wertvollste Führungsinstrument. Was für das Thema Führung gilt, gilt auch für Kommunikation und Sitzungen, d.h. Kommunikation und Sitzungen sind angesagt, wenn es die Situation erfordert, das Individuum oder das Team fördert, verlangt oder es einfach Sinn macht. Informellen Austausch hingegen betrachten wir als gelebte Quelle für Inspiration, Bereicherung und Veränderung, aber auch als Vertrauensbeweis. Bewusster Wissensaustausch ist bei uns nichtsdestotrotz eminent wichtig, weil einerseits mehr als 80% der Teammitglieder in Teilpensen arbeiten, jedoch die kollektive Arbeitsteilung und Verantwortung sehr ausgeprägt ist. Deshalb findet täglich, anschliessend an die Mittagspause, mit allen Anwesenden ein kurzes Briefing statt (15 bis max. 30 Minuten), um wichtige Geschehnisse und Wissenswertes auszutauschen. Darüber wird ein Kurzprotokoll geführt und im sog. Outlook-Bordbuch für alle – auch für die Nichtanwesenden – ersichtlich publiziert. Die Einträge im Bordbuch werden von allen Mitarbeitern/innen regelmässig gelesen und bei Fragen und Bedarf geklärt. Wir stellen uns immer wieder die Frage, welche Information ist für wen hilfreich und informieren entsprechend spezifisch oder allgemein. Es gilt jedoch auch das Hol-Prinzip, d.h. es wird erwartet und vorausgesetzt, dass alle Mitarbeiter sich die für sie wichtigen Informationen abholen. „Selber aktiv und agil sein ist unser Credo und nicht auf die Nichterfüllung von Erwartungen warten, denn was wir von anderen verlangen, verlangen wir auch von uns selbst.“

Wie gehst Du mit der Kontrolle um?

Ich versuche das Team mit Akteuren/innen zusammenzustellen, die Selbstkontrolle und Selbstregulation nicht nur theoretisch verstehen, sondern diese auch in ihrer persönlichen Entwicklung aktiv, laufend und mit Überzeugung anwenden. Wer aus Angst vor Fehlern laufend kontrolliert werden muss, damit das kommunizierte und erwartete Denken und Handeln stattfindet, ist eine Fehlbesetzung und damit das Resultat eines missglückten Rekrutierungsprozesses mit Verlierern auf beiden Seiten. Die Person ist an dieser Stelle überfordert und sollte baldmöglichst in einer ihrer Fähigkeit und ihrem Potential entsprechenden anderen Aufgabe passend eingesetzt werden.

Wichtig ist, dass wir gegenseitig verstehen und vereinbaren, was unter welchen Rahmenbedingungen erwartet wird und wie es erreicht werden soll und kann. Dabei kontrolliert jeder sich selbst, ob bei der Umsetzung die Vereinbarungen eingehalten werden und das Resultat den Abmachungen entspricht. Selbstverständlich sind konstruktive Kritik und wohlgesinnte Ratschläge von wem auch immer im Team, nicht nur willkommen, nein, werden diese erwartet. Das Umfeld ist da, um zu merken, wenn jemand im Team Rat oder Unterstützung braucht, damit die Aufgabe gut oder besser gelingt.

Dies ist Voraussetzung, dass wir als Kollektiv effektiver wirken, uns besser verstehen und als Belohnung oder Resultat mehr Zeit fürs agieren, fürs gestalten haben und nicht weiter vom ständigen «Reagieren müssen» gestresst sind und krank werden. Das macht ein gutes Team aus, nicht nur für sich, sondern auch für den/die anderen denken und handeln.

Wir haben zusammen im Team erarbeitet, was für uns das Caritas Credo «Das Richtige tun» – und zwar richtig – bedeutet. In unserer täglichen Arbeit lernen und klären wir Veränderungs- und Verbesserungspotenziale und fördern aktiv ein gemeinsames Verständnis für unser Denken und Handeln.

Konfliktmanagement – was bedeutet das für Dich?

«Probleme sind Gelegenheiten zu zeigen, was man kann»

Konflikte sind Chancen, die aufzeigen, wo Entwicklungspotential brachliegt. Man kann darin auch einen Hilferuf deuten, den man nicht aufschieben, sondern subito klären sollte, bevor die Eskalation unkontrollierbar die nächste Stufe erreicht.

Konflikte werden nicht in der Öffentlichkeit, sondern unter den Konfliktparteien/-personen gemeinsam besprochen und gelöst. Konflikte entstehen z.B. durch Missverständnisse, Beharren auf unterschiedlichen Ansichten und nicht fähig sein, mit anderem Denken und Handeln positiv umzugehen. Da der Konflikt nicht ungeschehen gemacht werden kann, bleibt nichts Anderes übrig, als darüber zu debattieren, wie es dazu gekommen ist, was wir daraus lernen und was wir in Zukunft bei einem ähnlichen Fall anders machen werden. Selbstverständlich bringe ich mich mit meinen konkreten Erwartungen und objektiven Kriterien zu Lösungsansätzen aktiv mit ein, was ich von den Konfliktparteien/-personen auch erwarte. Sie müssen sich bei der Analyse und der Lösungsfindung konstruktiv und möglichst vorurteilsfrei einbringen. Sanktionen und Massnahmen für den Fall, dass sich die Situation nicht verbessert, werden besprochen, vereinbart und umgesetzt.

Beim Bewerbungsgespräch und anschliessend bei möglichen Kandidaten/innen vor allem auch im eintägigen «Schnuppertag» in unserer Organisation, schaue ich und die involvierten Mitarbeiter/innen besonders auf die Eigenschaft von Persönlichkeit, Charakter, Werthaltung und wie ausgeprägt die Ambiguitätstoleranz (die Fähigkeit mit mehrdeutigen Situationen und widersprüchlichen Handlungsweisen umzugehen) der neuen Person ist. Wir versuchen vor allem möglichst gut herauszufinden, (und wir legen dieses Ziel auch der neuen Person wärmstens ans Herz), ob diese heterogene und trotzdem agile Teamkultur und unser Credo passen und langfristig bezüglich «wie wir miteinander umgehen» begeistern kann. Das heisst jedoch nicht, dass sich unser Team durch «uniforme» Mitarbeiter/innen auszeichnet und wir neue Mitarbeiter/innen suchen, die gleich sind wie wir. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir bevorzugen unterschiedliche Persönlichkeitstypen, mit komplementären Kompetenzen und Erfahrungen, die es verstehen, die Vielfältigkeit und das Anderssein für eine gemeinsame Überzeugung und Zielsetzung zu nutzen. Ich bin überzeugt, dass Diversität evident ist und dass «die richtige Mischung» entscheidend ist, wie effektiv und mit welcher Einigkeit und Wirksamkeit Ziele erreicht werden können. Gemischte Teams fördern die Kreativität und Innovation, erhöhen die Motivation und Arbeitszufriedenheit und verbessern die Ambiguitätstoleranz der Mitarbeitenden, was wiederum die Fähigkeit erhöht, sich den wandelnden Anforderungen anzupassen.

Die Führung in einer «NonProfit» Organisation
Gibt es da Spezielles zu beachten? Im Netzwerk von Kanton, Dorfbevölkerung und verschiedenen Kulturen? Wie gehst Du mit den verschiedenen Themenbereichen um?

Aus meiner Wahrnehmung wird die Führung beeinflusst von den Menschen, mit welchen man zu tun hat, mit den internen und externen Ansprüchen an die Arbeit, die man zu erledigen hat und den Erwartungen des Umfeldes, in dem man als Team oder Leistungserbringer wirkt.

Daraus schliesse ich, dass nicht per se «Nonprofit» (mit dem Ziel der Mittelmaximierung) oder «Profit» (mit dem Ziel der Profitmaximierung) den Führungsstil massgeblich beeinflussen, sondern ,dass primär das Zusammenwirken des Erfüllungsgrades der Faktoren «Mensch – Arbeit – Umfeld» und z.B. dem daraus entstehenden Leistungsdruck auf die involvierten Personen die erforderliche Führungskompetenz bestimmen.

Nach 30 Jahren Führungsarbeit in der Privatwirtschaft geprägt, stelle ich fest, dass NonProfit Organisationen wohl gut beraten wären, ihren Personalbestand etwas couragierter mit mehr Kompetenz und Erfahrung aus der Privatwirtschaft zu diversifizieren und komplementieren, um in den stetig verändernden, marktwirtschaftlichen Anforderungen und Entwicklungen, weiterhin konkurrenzfähig und innovativ genug zu sein.

Für mich ist es absolut zentral, dass ich für das, was ich mache eine ehrliche innere Leidenschaft/ Emotion empfinde und einen überzeugenden Sinn erkennen muss, um zufrieden und mit Herzblut dabei zu sein. Damit meine ich die Überzeugung und Gewissheit, dass ich mit meinen Stärken und Schwächen einen echten Mehrwert und eine willkommene Bereicherung an Inspiration und Innovation in einem Gefäss/ System ausmache. Und wenn immer möglich versuche ich, dass ich mich mit Menschen umgebe, die beherzt, neugierig, unvoreingenommen und uneigennützig auf unterschiedlichste «Philosophien» eingehen, sowie bereit und couragiert sind, Neues zu versuchen und zu entdecken, auch wenn ungewiss bleibt, wie es weitergeht und was dabei herauskommt. Ich befürchte jedoch, dass diese Voraussetzung bei einer Mehrzahl der Arbeitnehmenden leider nicht zutrifft. Und wenn man nicht zufrieden im Job ist, wie will man dann einen guten Job machen?

Ich bin auch überzeugt, dass wenn man sich mit einem Thema, einer Aufgabe voll identifiziert und sich immer wieder eine sich verändernde Kompetenz dazu angeeignet, die konstruktive, sachliche und verständnisvolle Auseinandersetzung mit einem kritischen, andersdenkenden und andershandelnden Netzwerk, nur von Vorteil für alle Beteiligten ist. Denn diese Haltung bedeutet und demonstriert die Bereitschaft, seine eigenen Überzeugungen immer wieder in Frage zu stellen, auf neue Reize, Ideen, Ansichten vorurteilsfrei einzugehen, um sich selbst immer wieder zu verändern und weiter zu entwickeln.

Und wer schlussendlich sein Handwerk versteht und mit Herzblut und Überzeugung macht und liebt, der hat nicht nur ausreichend Argumente, Fakten und Beispiele, um ein heikles Thema gegenüber Andersdenkenden zu vertreten, nein, der weiss auch wo die Emotion, das Mitgefühl und Interesse sowie die Lösung der Opposition zu finden ist.

Was fasziniert Dich am „Mut-Projekt“ von ottpunkt AG?

Dass durch das Mut-Projekt ein zentrales und äusserst anspruchsvolles Thema der Arbeitswelt und im Umgang mit Menschen auf simple, aber verständliche Art und Weise aufgegriffen wird und dadurch ein praxisorientierter Dialog über das Thema Führung entsteht. Ich glaube, dass viele Führungsleute ein Gefäss schätzen würden, wo sie ihre Führungssorgen und Führungsfreuden austauschen könnten. Jede einigermassen selbstkritische Führungskraft ist sich bewusst, dass im Austausch von Führungserfahrung ein grosses Potential liegt, damit wieder mehr Zufriedenheit und weniger Resignation am Arbeitsplatz einkehrt. Ich würde mir wünschen, dass das Mut-Projekt viele Führungsverantwortliche ermutigt, den Austausch mit anderen Gleichgesinnten anzugehen und Führung zu einem Teamsport zu machen.

Was ziehst Du für einen persönlichen Nutzen aus diesem Interview?

Dass ich meine Erfahrungen und Überzeugungen zum Thema Führung austauschen konnte und zusammen mit meinem Interviewpartner versuchte, die Stimmigkeit meiner Ansichten, mit plausiblen und verständlichen Kausalzusammenhängen zu begründen und zu klären. Die ehrliche Meinung und kritischen Fragen zu meinen aktuellen Überzeugungen zu erhalten, sowie von neuen Gedanken und Erfahrungen inspiriert zu werden.

Danke schön

Urs Häusermann ist Leiter eines Durchgangszentrums für Asylsuchende der Caritas Schweiz. Nach vielseitigen Tätigkeiten in Industrie und Finanz war Urs Häusermann für zwei Jahre als Entwicklungshelfer in Namibia, bevor er sich für seine jetzige Tätigkeit entschied.
Vielen Dank lieber Urs für Deine offene und kompetente Kommunikation zu unserem Thema: «Haben Sie Mut…»

Das Interview führte Xaver Räber, Unternehmensberater für Prozesse und Informatik.